Familie Kastner

1926 zog der Bäcker Jakob Kastner mit seiner Gattin Helene und ihren sechs Kindern von Györ nach Frauenkirchen, um die örtliche Bäckerei zu pachten. Die koschere Bäckerei der Kultusgemeinde befand sich im Tempelviertel, unmittelbar daneben war das Wohnhaus der Bäckerfamilie. Bedingung war der „jüdische Glaube“ des Bäckers, die Verpflichtung, von Purim bis Pessach die Bäckerei für das Mazzesbacken (Mazzes/Mazzot- ungesäuertes Osterbrot) zur Verfügung zu stellen und zudem vor dem Pessachfest 50 Kilo Mazzes in Reserve zu halten.
Jakob Kastner konnte sich als Bäcker in Frauenkirchen eine angesehene Stellung aufbauen, sodass der Vertrag mehrmals um jeweils fünf Jahre verlängert wurde. Jakobs drei Söhne erlernten ebenso das Bäckerhandwerk. Während Dezsö und Ernö im väterlichen Betrieb mitarbeiteten, gründete Lajos mit seiner Gattin eine Bäckerei in Györ, der Heimatstadt der Eltern.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten musste Jakob Kastner vorübergehend die Bäckerei schließen. Nach Inhaftierung im örtlichen Anhaltelager und massiven Drohungen floh die Familie Kastner im Frühsommer nach Ungarn. In der Bäckerei seines Sohnes in Györ konnten sie eine neue Bleibe finden. Die Hoffnung auf Sicherheit erfüllte sich nicht. 1944 wurde die Familie verhaftet. Im selben Jahr verhungerte Jakob Kastner im Budapester Getto. Seine Tochter Rosa, im neunten Monat schwanger, sein Sohn Lajos und dessen Gattin Josefine wurden nach Auschwitz deportiert, wo sie den Tod fanden.
Die anderen Familienmitglieder konnten in Verstecken den Holocaust überleben. Sie landeten nach Kriegsende als „Displaced Persons (DP)“ in einem Lager bei Ulm in Süddeutschland. Die angestrebte Emigration in die USA verzögerte sich immer wieder, weil die nötigen Papiere fehlten. Für Helene Kastner erfüllte sich der Wunsch nach einer neuen Heimat nicht, da sie im Mai 1948 im DP-Lager verstarb. Dezsö Kastner fand in New York seine neue Heimat, wo er bis ins hohe Alter seinen erlernten Beruf als Bäcker ausübte. Auch seine beiden Schwestern, Theresia und Neomy, wanderten in die USA aus. Ernö Kastner wählte Israel als seine neue Bleibe, wo er zunächst in einer Bäckerei tätig war und sich später selbstständig machte. Bis zu seinem Tod stellte er unter anderen Mazzesbrot für das Pessachfest her.

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